Genderfragen
Wölfinnen?
Ein Blick auf Frauen und Mädchen im türkischen Ultranationalismus Deutschland
Der globale Kontext
Allen rechten Strömungen ist gemein ein „Wir“ und ein oder mehrere abgrenzbare „Andere“ zu konstruieren1. Dies resultiert vor allem in Überlegenheitsgefühlen und starker Selbstidentifikation: „Wir sind das Volk“2. Türkische Ultranationalisten*innen in Deutschland sind nicht außergewöhnlich in ihrer Grundstruktur im Vergleich zu anderen rechten Gruppen. Hervorzuheben ist aber, dass biografische und kollektive Ausgrenzungserfahrungen von Deutsch-Türken den Einstieg in ultranationale Gruppierungen in Deutschland erleichtern und eine Identifikation mit deren Wertesystem stärken können3. Geschlechterrollen können dabei Zuschreibungen und Werte rechter Gruppen gelebt zur Schau stellen: Der vermeintlich kultivierte wird zum imaginiert wilden Mann kontrastiert, die gute Mutter zur überforderten Fremden.
Gender im Rechtsextremismus
In rechten Gruppen werden Geschlechterrollen propagiert in denen Männlichkeitsbilder mit Stärke und Ehre verwoben sind und Frauenbilder mit Attributen wie Mütterlichkeit und Heimpflege4. Bemerkenswert ist, dass während im patriarchalen System auch grundsätzlich die Unterdrückten (Frauen) das Wertesystem der Unterdrückenden übernehmen,5 im Rechtsextremismus dies verstärkt zu Gunsten empfundener Überlegenheit gegenüber Dritten als Teil des eigenen Wertesystems in Kauf genommen wird6. Übergeordnet gegeben ist weiter ein ausgeprägter Geschlechtsdualismus, der biologisch verankert angenommen wird4: die Frau soll hütend nach innen agieren, der Mann aktiv nach außen.
Türkischer Ultranationalismus und Frauenbilder
Im türkischen Ultranationalismus bleibt die Geschlechterrolle mit dem Ideal der dem Mann untergeordneten Frau zwar weitgehend starr, doch innerhalb dieser Grenzen sind durchaus Räume gegeben mitzugestalten und Verantwortung zu tragen7. Somit gibt es sehr aktive Frauen in der Bewegung, die etwa auf Demonstrationen gut sichtbar werden. In den Verbänden übernehmen sie relevante Aufgaben: leiten Mädchengruppen, sorgen für reibungslose Abläufe. Nicht zuletzt werden die Potenziale der Mädchen und Frauen bewusst genutzt, etwa für Öffentlichkeitsarbeit und Mobilisierung3. Es wäre deswegen nicht zielführend anzunehmen hier nur einen Typ Frau des realisierten Rollenideals aufzufinden und es entspräche auch nicht zuletzt auch nicht ihrem eigenen Selbstverständnis3.
Frauen und Mädchen in der Szene
Die Mädchen treten häufig übergangslos durch vorhandene familiäre Einbettung in ultranationale Gruppen ein. Anzumerken ist deshalb, dass das Wertesystem vornehmlich von der, der Familie zugewandten, Mutter erlernt wird7. Wie eingehend beschrieben sind es auch Unterdrückte selbst, die Unterdrückungsmechanismen mit reproduzieren. Verbandseintritte hingegen erfolgen niedrigschwellig: Es werden oft zunächst Themen, wie Make-Up oder andere alltägliche Themen fokussiert, um dann Schritt für Schritt politische Inhalte miteinzubeziehen. Das so entstehende Gruppengefühl ist entscheidend für die weitere Teilnahme im Verbandsalltag8. Die Mädchen und Frauen identifizieren sich im Verlauf stark mit einem erlebten Überlegenheitsgefühl und verstehen sich als relevanten Teil und aktive Verteidigerinnen der Bewegung Die dafür erforderliche Abgrenzung findet etwa zu Kurdinnen oder Armenierinnen statt9.
Pädagogische Zugänge
Als Grund für die Integration in türkisch-ultranationale Gruppen innerhalb Deutschlands sind Diskriminierungs- und Ausgrenzungserfahrungen hervorzuheben. Das Empfinden nicht „deutsch“ genug zu sein, der eigentlichen Gesellschaft nicht anzugehören, befeuert Identitätskonflikte, die im Extrem der Vorstellung einem eigentlich besseren Volk anzugehören und damit in Radikalisierung münden können3.
Entscheidend auch hier ist eine grundlegende Antidiskriminierungsarbeit, etwa in Schulen und durch antirassistische Freizeitangebote. Im Speziellen erforderlich ist es die Ausgrenzungserfahrungen der Mädchen im Blick zu behalten, um zu verstehen, wie Diskriminierung zu Diskriminierung führen kann. Dies bedarf einer empathischen Pädagogik10. Es sollte vermieden werden, die Mädchen und Frauen nur als Mitläuferinnen anzunehmen, da die aktive Partizipation im Ultranationalismus einen stark identifikatorischen Wert für sie hat. Angebote, die gezielt die Heterogenität der Frauen und Mädchen im Blick haben und positive Gruppengefühle stärken, sowie durch Erfolgserlebnisse den Selbstwert stärken, sollten deswegen im Vordergrund stehen10. Ehemals Rechtsextreme sind oft eng in präventive Kursangebote und Beratungsangebote eingebunden11. Diese Herangehensweise ist auch in diesem Kontext vorteilhaft: Der Zugang zu ultranationalen Frauen kann durch „Ehemalige“ leichter erfolgen, insbesondere da konservative Rollenbilder vorliegen. Für die Ansprache dieser ist eine Einbindung von Menschen aus der türkischen Community wichtig. Es muss weiter erst noch ein grundlegendes Bewusstsein für die Problemlage entstehen und die Forschung, die wie so oft Männer und Jungen fokussiert, unbedingt erweitert werden, um zielgerichtete Ausstiegsangebote entwickeln zu können.
Zum Autor:
Deniz Dipcin ist deutscher und türkischer Staatsbürger und hat an der Humboldt Universität zu Berlin Erziehungswissenschaften und Geschlechterstudien studiert. In seiner Abschlussarbeit untersuchte er gelebte Männlichkeitskonstruktion bei Jungen bis elf in einer von Diversität bestimmten pädagogischen Einrichtung Berlins.
1 Vgl. Elias, Norbert; Scotson, L. John (1990). Etablierte und Außenseiter. Frankfurt am Main:
Suhrkamp, S.12-14
2 Vgl. Elias, Norbert; Scotson, L. John (1990). Etablierte und Außenseiter. Frankfurt am Main:
Suhrkamp, S.36- S.38
3 Vgl. Wiese, Lena: Frauen in ultranationalistischen türkischen Szenen: Interview mit Lena Wiese über Ideologie und Rollenbilder der Grauen Wölfe. 02.05.2018, https://www.ufuq.de/frauen-in-ultranationalistischen-tuerki-schen-szenen-interview-mit-lena-wiese-ueber-ideologie-und-rollenbilder-der-grauen-woelfe/ (01.12.2020)
4 Vgl. Geden, Oliver (2004). Männlichkeitskonstruktionen in der Freiheitlichen Partei Österreichs –
Eine qualitativ-empirische Untersuchung (1) Opladen: Leske + Budrich, S.35-36
5 Vgl. Backhaus, Wibke: Judith Butler: Gender Trouble. In: Samuel Salzborn (Hrsg.): Klassiker der
Sozialwissenschaften -100 Schlüsselwerke im Portrait. New York 1990, S. 347-378
6 Beispiel: „Heimchen am Herd“ als Teil des rechten Rollenbildes zu Gunsten von Überlegenheitsgefühlen genüber „den Anderen/ den Fremden“ durch die rechte Ideologie. Siehe vergleichend Fußnoten 4 und 5
7 Vgl. Wiese, Lena & Bozay, Kemal: Ich bin stolz, Türkin zu sein!. In: Betrifft Mädchen, 2018 (4), S.164.169,
S.166-167
8 Vgl. Pesch, Dennis: Frauen bei der türkischen Rechten. Wissenschaftlerin Lena Wiese über die Rolle weiblicher
Mitglieder der Grauen Wölfe. 14.08.2018. https://www.neues-deutschland.de/artikel/1097114.graue-woelfefrauen-bei-der-tuerkischen-rechten.html, (02.12.2020)
9 Vgl. Wiese, Lena & Bozay, Kemal: Ich bin stolz, Türkin zu sein!. In: Betrifft Mädchen, 2018 (4), S.164-169, S.164
10 Vgl. Wiese, Lena & Bozay, Kemal: Ich bin stolz, Türkin zu sein!. In: Betrifft Mädchen, 2018 (4), S.164.169,
S.168
11 Vgl. exit Deutschland. Ausstieg. https://www.exit-deutschland.de/ausstieg/, (03.12.2020) (Verfasser*innen
und Veröffentlichungsdatum nicht verfügbar, für den Inhalt verantwortlich: Wagner, Bernd, Dr: Dipl: Kriminalist.