FAQ

Häufige Fragen

1. Worin besteht die konkrete Herausforderung bei der Bearbeitung des Themas im Vergleich zu Erscheinungsformen des Rechtsextremismus ohne Auslandsbezug?

Eine der konkreten Herausforderungen beim auslandsbezogenen Rechtsextremismus sind sprachliche Barrieren. Im Falle der rechtsextremen „Grauen Wölfe“ sind Türkischkenntnisse bei der Bearbeitung der Thematik unumgänglich, da die türkische Sprache einen relevanten Bestandteil der Ideologie darstellt. Dies äußert sich insbesondere bei der szeneinternen Kommunikation, aber auch in Symbolen und Codes. Analysen ohne Türkischkenntnisse sind zwar auch möglich, allerdings erschweren sprachliche Barrieren eine tiefergehende Auseinandersetzung mit der Szene. Doch nicht nur sprachliche, sondern auch Kenntnisse über die Rolle des Islams in der türkischen Geschichte sind erforderlich, um diese Form des Rechtsextremismus als Gesamtphänomen zu verstehen.

Im Vergleich zum Rechtsextremismus ohne Auslandsbezug ist hinzuzufügen, dass Akteur/innen aus der auslandsbezogenen rechtsextremen Szene potentiell selbst von Rassismus und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit betroffen sind. Dieser Umstand stellt in zweierlei Hinsicht eine große Herausforderung dar. Zum einen steigert eine jahrzehntelange Ausgrenzung von öffentlichen Diskursen, Politik und Strukturen der Mehrheitsgesellschaft die Attraktivität von türkischem Nationalismus bei der persönlichen Identitätsentwicklung. Zum anderen bestätigt die gesellschaftliche Benachteiligung und Ungleichbehandlung von Türkeistämmigen die Ülkücü-Ideologie „Opfer“ einer weltweiten Verschwörung zu sein, die sich explizit „gegen das Türkentum“ richte. In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass ein „Eingreifen“/“Intervention“ von außen, d.h. von Nicht-Türk/innen bei Präventions- oder Deradikalisierungsmaßnahmen auf Ablehnung stoßen kann, da Anhänger/innen der Ülkücü-Bewegung dies mit (post)kolonialen Handlungsmustern in Verbindung bringen könnten. Um dies zu vermeiden ist es empfehlenswert, dass Mutliplikator/innen diesbezüglich sensibilisiert werden und bei schwierigen Fällen der Einsatz von türkischsprachigen Multiplikator/innen in Betracht gezogen werden sollte.


2. Worauf sollte in Gesprächen mit Jugendlichen derartiger Gesinnung besonders Rücksicht genommen werden?

Da das „Türkentum“ ein wichtiger Identitätsbaustein bei Jugendlichen mit türkisch- nationalistischer Gesinnung ist, sollte die kulturelle Sozialisation in Deutschland berücksichtigt werden. In Gesprächen ist es in erster Linie wichtig zu verdeutlichen, dass die türkische Kultur und ihre Menschen als Bereicherung für Deutschland akzeptiert und anerkannt werden. Die etlichen Diskriminierungserfahrungen und gesellschaftlichen Ausgrenzungsmechanismen innerhalb der (post)migrantischen Community führten dazu, dass türkische Ultranationalist/innen sich von der Mehrheitsgesellschaft per se bedroht und ausgeschlossen fühlen. Dies wird auch häufig als Narrativ innerhalb ultranationalistischer Kreise (re)produziert und führt zu einer sogenannten „Selbstethnisierung“. Daher sollte in den ersten Gesprächen nicht die Kritik, sondern die Vermittlung von Anerkennung ihrer Kultur im Vordergrund stehen, um mögliche Machtasymmetrien innerhalb einer Gesprächssituation von vornerein zu minimieren. Insbesondere bei Jugendlichen, die in einem ultranationalistisch geprägten sozialen Umfeld aufgewachsen sind, ist eine Auseinandersetzung mit den jeweiligen Sozialisationsbedingungen von Vorteil, um diese Faktoren als potentielle Ursache für eine derartige Gesinnung im Vorfeld von Gesprächen mit ultranationalistischen Jugendlichen berücksichtigen oder ausschließen zu können. Je nach der Geschlossenheit des Weltbildes müssen langfristige Strategien entwickelt werden, um rechtsextremes Gedankengut und die inhärente Menschenfeindlichkeit hervorzuheben und zu dekonstruieren. Bei besonders gefestigten Weltbildern können auch Gesprächspartner/innen, die selbst einen Bezug zur türkischen Kultur oder Sprache haben vorteilhaft sein, um eine empathische Gesprächssituation zu gewährleisten.


3. Wie kann mit türkisch-ultranationalistisch gesinnten Eltern im Rahmen der Schulsozialarbeit gearbeitet werden?

Wenn die Eltern selbst eine türkisch-ultranationalistische Gesinnung aufweisen, ist es zunächst wichtig zu erfahren, inwiefern das Weltbild der Eltern geschlossen ist oder nicht. Sind die Eltern aktivistisch im türkisch-ultranationalistischen Kontext tätig, ist ein Elterngespräch im Rahmen der Schulsozialarbeit schwieriger durchzuführen als mit Eltern, die lediglich eine nationalistisch geprägte Gesinnung aufweisen. Der Versuch gefestigte Weltbilder aufbrechen zu wollen ist nicht vielversprechend und mit einem großen Ressourcenverbrauch verbunden. Aus diesem Grund ist in erster Linie eine Zusammenarbeit mit Eltern, die nicht innerhalb der Ülkücü-Bewegung aktiv und keine Funktionäre sind, sinnvoller. Generell ist es bei dem Erstgespräch mit den Eltern empfehlenswert nicht direkt eine Entlarvung ihrer Ideologie zu erzielen, sondern vielmehr den Gesprächsfokus auf den Schutz und das Wohlbefinden ihrer Kinder zu legen. Allgemeine Sorgen und Ängste der Eltern müssen aufgegriffen und angesprochen werden. Das können Zukunftsängste sein, aber auch die Angst vor den Nachteilen des strukturellen Rassismus für ihr Kind. Vor allem bei letzterem kann gut angesetzt werden, um zunächst einmal das Phänomen des strukturellen Rassismus schrittweise zu erklären. Idealerweise kann man durch mehrere Gesprächssitzungen erreichen, dass den Eltern diskriminierende Elemente der Ülkücü-Ideologie deutlich werden, vor denen sie eigentlich ihr eigenes Kind schützen wollen. Nach mehreren Beratungssitzungen sollten den Eltern schließlich die Probleme einer Ülkücü-Ideologie im Kontext des Kinderschutzes verdeutlicht werden (z.B. zukünftige Jobchancen). Da die „Grauen Wölfe“ in Deutschland als verfassungsfeindlich eingestuft werden, muss den Eltern als erstes klargemacht werden, dass es in Deutschland eine solche behördliche Einstufung gibt, zweitens, wie es zu einer derartigen Einstufung kommt und drittens, dass eine solche Ideologie Nachteile für die Zukunft ihrer Kinder bedeuten könnte. Sobald die Elterngespräche erfolgreich verlaufen, können weitere Formate, wie z.B. Workshops oder Weiterbildungen angeboten werden – auch alternativ auf Türkisch.


4. Wie kann mit Jugendlichen mit türkisch-ultranationalistisch gesinnten Eltern gearbeitet werden?

Überschneidet sich mit Frage 2


5. Spielt der türkische Migrationshintergrund von Jugendlichen in der präventiven Arbeit mit ihnen eine Rolle? Wenn ja, wie ist dieser zu integrieren?

Da es sich um türkisch-ultranationalistisches Gedankengut handelt, wird der Migrationshintergrund bei der Präventionsarbeit eine sehr wichtige Rolle einnehmen. Im Gegensatz zum Rechtsextremismus ohne Auslandsbezug handelt es sich bei den Anhänger/innen der Ülkücü-Ideologie in Deutschland um eine Minderheitengruppe, die gerade aufgrund ihres belesenen Migrationshintergrundes von strukturellem Rassismus betroffen und dadurch benachteiligt gewesen sein können. Ausgrenzungsmechanismen wiederum können dazu führen, dass der türkische Migrationshintergrund sich als zentrales identitätsbildendes Merkmal bei der Selbstdefinition etabliert – umso stärker bei türkisch-ultranationalistischen Jugendlichen. Bei der präventiven Arbeit mit den Jugendlichen kann der türkische Migrationshintergrund z.B. durch Empowerment-Ansätze integriert werden, in dem es nicht nur darum geht, sich mit der eigenen Identität auseinanderzusetzen, sondern auch verschieden Perspektiven von anderen nicht-türkischen Jugendlichen zu erfahren. Durch die Stärkung der interkulturellen Kompetenz wird nicht nur die Kultur und die Identität der Türkeistämmigen Jugendlichen wertgeschätzt, sondern auch durch einen Dialog das Wertschätzen von unterschiedlichen kulturellen Einflüssen erlernt. Dieser Ansatz könnte dabei behilflich sein, Vorurteile aufzubrechen, um anschließend weitere Bildungsangebote im Kontext von (Ultra-)Nationalismus anzubieten.


6. Sind Parallelen zwischen der Präventionsarbeit gegen rechtsextremistische Erscheinungen ohne Auslandsbezug und der Arbeit gegen (rechts-)nationalistische Einstellungen mit einem Auslandsbezug zu erkennen?

Polarisierungen und Vereinfachungen der Welt sind wesentliche Parallelen in rechtsextremistischen Ideologien. Dies resultiert häufig daraus, dass politische, ökonomische und gesellschaftliche Strukturen für Jugendliche zu komplex und schwer durschaubar sind. Daher werden auch in der Präventionsarbeit bei beiden Erscheinungsformen demokratiefördernde Formate angeboten. Häufig scheitert es an fehlenden Wissen über Demokratie und Politik, was Verschwörungserzählungen im Rechtsextremismus fördert. Das Verstehen von komplexen gesellschaftlichen und politischen Strukturen kann dabei behilflich sein ein dualistisches „Freund-Feind“ oder „Die Elite-Das Volk“ Denkschema aufzuweichen. Zudem ist es in der präventiven Arbeit für beide Erscheinungsformen unumgänglich über Ideologie, Organisationen/Netzwerke und Strategie aufzuklären. An dieser Stelle ist ein Peer-to-Peer Ansatz für beide Erscheinungsformen vorteilhaft. Außerdem muss sowohl beim auslandsbezogenen als auch beim Rechtsextremismus ohne Auslandsbezug das Konzept der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit aufgezeigt und dafür sensibilisiert werden.


7. Welche konkreten Schritte können Fachkräfte aus dem Schulkontext gehen, wenn türkisch-ultranationalistische Tendenzen in der Schüler/innenschaft zu beobachten sind?

Wenn Lehrkräfte türkisch-ultranationalistische Tendenzen unmittelbar aus der Schüler/innenschaft des eigenen Klassenverbandes bemerken, sollten sie zunächst über einen längeren Zeitrahmen das Verhalten und die Äußerungen der jeweiligen Schüler/innen beobachten. Dafür ist es sinnvoll sich mit weiteren Lehrkräften desselben Klassenverbandes in Verbindung zu setzen und sich darüber auszutauschen, inwiefern sich die Beobachtungen decken. Eventuell lässt sich das Phänomen nicht nur auf der Ebene eines Klassenverbandes, sondern in einer gesamten Klassenstufe oder sogar insgesamt auf der Schule feststellen. Bei übereinstimmenden Beobachtungen kann analysiert werden, ob ein/e Meinungsführer/in ausfindig gemacht werden kann. In so einem Fall ist es empfehlenswert zunächst das Einzelgespräch mit dem/der Meinungsführer/in zu suchen und diese/n nicht vor einem Klassenverband zu entlarven. Sollte sich das Einzelgespräch als erfolglos erweisen, ist es sinnvoll in einem nächsten Schritt die Eltern zu kontaktieren. Ein Klassenverband kann gemeinsam Gesprächsregeln aufstellen und klare Grenzen setzen, in dem menschenfeindliche Äußerungen jeglicher Art nicht geduldet werden. Idealerweise kann dies auch übergeordnet auf der Schulebene passieren, bspw. indem man als Schule Mitglied des SOR-SMC-Netzwerkes wird. Mit regelmäßigen Workshops zu den Themengebieten Antirassismus, interkulturelle Kompetenz, Nationalismus, Demokratie oder Zivilcourage kann dem Problem langfristig entgegengewirkt werden. Handelt es sich nicht um Einzelfälle, sondern um ein flächendeckendes Problem, ist es hilfreich Vereins- und Verbandsstrukturen in der jeweiligen Kommune näher zu ergründen. Auch auf diverse Beratungsstrukturen im Themengebiet Rechtsextremismus, Betroffenenberatung, Elternberatung, Partnerschaften für Demokratie, Antidiskriminierungsstellen, etc. kann zurückgegriffen werden. Denn auch örtlich verankerte türkisch-ultranationalistische Strukturen, Netzwerke und Aktivismus können der Grund sein, weshalb derartige Tendenzen in einer Schule vermehrt auftauchen. In solchen Fällen ist es auch sinnvoll mit der Kommune selbst in Kontakt zu treten.


8. Welche Schritte können Fachkräfte aus dem Schulkontext gehen, um präventiv zu arbeiten, sodass es gar nicht erst zu derartigen Vorfällen kommt?

In der präventiven Arbeit ist es für Lehrkräfte ratsam regelmäßige Peer-to-Peer Angebote für Schulklassen wahrzunehmen. Jüngere Multiplikator/innen – idealerweise mit Türkischkenntnissen – sind näher dran an der Lebensrealität von Jugendlichen, weshalb sie Inhalte jugendfreundlicher verpacken können. Die Peer-to-Peer Angebote sollten nicht politische Bildungsarbeit beinhalten, sondern auch Empowerment-Trainings, bei dem der Selbstwert der Jugendlichen gesteigert und Vorurteile gegen andere abgebaut werden können. Auch die Schaffung von sogenannten „Safe Spaces“, also geschützte Räume für Jugendliche mit Migrationshintergrund, ist als präventive Maßnahme empfehlenswert. Denn in diesen Räumen können Rassismuserfahrungen ohne die Anwesenheit von Nicht-Betroffenen leichter ausgetauscht werden. Sollte es zu Rassismusvorfällen an einer Schule kommen, müssen diese auch ernst genommen und gemeinsam verurteilt werden. Unterschiedliche kulturelle Hintergründe von Schüler/innen sind durch die Lehrkräfte wertzuschätzen, denn Gefühle der Abwertung können mitunter zur Radikalisierung und zur „Selbstethnisierung“ der Jugendlichen führen.