Ideologie


Der türkische Ultranationalismus lässt sich auf der Ebene seiner ideologischen Struktur fassen. Die folgenden Schlagworte markieren zentrale Elemente seines ideologischen Kerns. Sie verweisen auf identitätsstiftende Narrative, geopolitische Zielvorstellungen, historische Bezugssysteme sowie religiös konnotierte Selbstbilder, die in unterschiedlichen Kontexten wirksam werden. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit oder systematische Einordnung bieten sie eine kompakte Übersicht über prägende ideologische Merkmale und Denkfiguren.

Überhöhtes Nationalbewusstsein / Überhöhter Nationalstolz

Die ethnisch bzw. völkisch definierte türkische Identität und die damit einhergehende vermeintliche Unvergleichbarkeit stehen hier im Vordergrund. Hier geht es um das stolze Bekenntnis zum Türkischsein und zum Türkentum.

Streben nach einem großtürkischen Reich ‚Turan‘

Die aus der Endphase des Osmanischen Reiches stammende Idee eines großtürkischen Reiches ‚Turan‘ zur Rettung des seinerzeit auseinanderfallenden Vielvölkerstaates wird in der ultranationalistischen Szene aufgegriffen und weitergesponnen. Hier wird die Bestrebung nach einem Nationalstaat mit allen Turkvölkern angestrebt, die Turksprachen sprechen. Damit geht es hier um eine sprachlich geprägte Gemeinschaftsidentität.

Glorifizierung des osmanischen Reiches

Das Osmanische Reich spielt für die Bewegung in vielerlei Hinsicht eine bedeutende Rolle, insbesondere als ideologisches Symbol für Größe, Stärke und historische Mission des Türkentums, das hochgehalten und glorifiziert wird. Das Problematische an dieser Art der Darstellung ist die idealisierte Herangehensweise an die beschriebenen Sachverhalte, die einen differenzierten Blick blockieren. So werden innenpolitische Auseinandersetzungen, Verluste, Konflikte nicht thematisiert bzw. nur einseitig betrachtet.

Bekenntnis zum Märtyrertum

Das Märtyrertum hat eine bedeutsame ideologische Funktion. Es steht für die Bereitschaft zur Selbstaufopferung im Dienst der Nation und gilt als Ausdruck von Loyalität und ideologischer Standfestigkeit. Die Bedeutung des Märtyrertums wird durch politische Rhetorik, historische Bezugnahmen und gruppeninterne Kommunikation vermittelt. Dabei wird es sowohl religiös als auch nationalistisch interpretiert und trägt zur Abgrenzung gegenüber als feindlich definierten Gruppen bei. Über diese Bewegung hinaus besitzt das Märtyrertum in der türkeistämmigen Kultur eine tief verwurzelte Bedeutung, insbesondere im Zusammenhang mit nationaler Erinnerung und religiöser Tradition. Nicht vergessen werden darf, dass Figurationen des Märtyrertums in anderen Bewegungen und Kulturen ebenso vorhanden sind.

Bekenntnis zum Islam

Die Einstellung zum Islam als identitätsprägender Faktor ist nicht eindeutig zu skizzieren. Die Rolle der Religionszugehörigkeit und -ausübung hat mitunter zu Spaltungen im ultranationalistischen Spektrum geführt. Denn für einige Gruppierungen ist das Konzept der türkisch-islamischen Synthese, die das Bekenntnis zum Islam zu einem unabdingbaren Teil der türkischen Identität erklärt, ein Grundpfeiler der ultranationalistischen Ideologie. Für andere wiederum spielt der Islam in der Definition der türkischen Identität keine bzw. kaum eine Rolle. Zwischen diesen beiden Polen ist ein weites Spektrum an unterschiedlichen Positionen zu diesem Thema vorhanden, das von der oben beschriebenen Diversität innerhalb der Szene zeugt. Die genannten Merkmale spielen unabhängig von der jeweiligen Gruppierung eine essenzielle Rolle. Auf dieser Grundlage wird zwischen Menschen, die dazugehören und jenen, die außerhalb des definierten Rahmens stehen und somit als minderwertig abgestempelt und in einigen Fällen auch als Bedrohung wahrgenommen werden, unterschieden. Extreme Spielarten der Ideologie innerhalb der Bewegung deklarieren ausgewählte Personengruppen nach ethnischen, konfessionellen oder politischen Differenzierungen pauschal zu Gegnern, die aufgrund ihrer ihnen unterstellen Illoyalität gegenüber türkischen Interessen und der daraus folgenden inneren Schwächung des nationalen Zusammenhaltes, ausgegrenzt, abgewertet und/oder bekämpft werden sollen. Verschwörungserzählungen sind unter anderem ein beliebtes Medium, worüber derartige Gedankenkomplexe transportiert werden.