Onlinepräsenz

Türkischer Ultranationalismus im Netz


In den letzten Jahren treten türkische Ultranationalist/innen deutlich stärker in Sozialen Medien auf und setzen dabei zunehmend auf deutschsprachige Angebote, um ihre Ideologie zu verbreiten und Anhänger/innen zu mobilisieren. Bevor die Onlinepräsenz der türkischen Ultranationalist/innen analysiert werden kann, muss eine zentrale Frage geklärt werden: Warum ist der türkische Ultranationalismus überhaupt für türkischstämmige Menschen in Deutschland attraktiv? Dies lässt sich hauptsächlich dadurch erklären, dass sie so die Möglichkeit bekommen, Teil einer ideologischen Gemeinschaft zu werden und eine eindeutige und klar umrissene positive Identität erhalten. Der fortdauernde gesellschaftliche Ausschluss der als nicht-deutsch gelesenen Menschen in Deutschland aus den Strukturen und Räumen der „Mehrheitsgesellschaft“1 stärkt diese Tendenz. Gleichzeitig wird den türkischstämmigen Menschen die Anerkennung als gleichberechtigte Bürger/innen verweigert und ihre Identität wird von der Mehrheitsgesellschaft weiterhin als „fremd“ definiert. Durch die Selbstzuschreibung zum Teil des „Türkentums“ können sie die gesellschaftliche Exklusion umdeklarieren und so wird aus einer negativen sozialen Rolle („nicht Teil der deutschen Gesellschaft) eine positive („Teil des Türkentums“). Des Weiteren können türkischstämmige Menschen sich als Teil der vermeintlich geschichtsträchtigen und „heroischen“ Tradition der türkischen Nation begreifen.

Von der Ideologie zum Accountnamen

Wenn türkischstämmige Menschen sich auf den türkischen Ultranationalismus beziehen, dann geschieht dies fast ausschließlich in der Form von Symbolen und Codes, die in einem Kontext eingerahmt werden, die für die eigene Lebenswelt relevant ist. Diese Symbole und Codes müssen knapp und eingängig sein, damit sie verwendet werden können. Darüber hinaus müssen sie für die Entwicklung der eigenen Identität der Jugendlichen relevant sein, d.h. es muss eine Verbindung zwischen der Lebenswirklichkeit der Jugendlichen und den verwendeten ideologischen Bezügen existieren. So spielen etwa Diskursfragmente, die auf innenpolitische Ereignisse in der Türkei anspielen oder nur verständlich sind, wenn man in der Türkei aufgewachsen und die Alltagskultur in all seinen Nuancen kennt, für die türkischstämmigen Menschen, die nicht in der Türkei aufgewachsen sind, keine große Rolle, während die Anspielungen auf die „großen“ Ereignisse, die immer wieder in Massenmedien aufgegriffen werden, verstanden und genutzt werden.
Die Diskursfragmente sind hauptsächlich Namen von heroischen Vorbildern, Daten und Orte von glorreichen Taten der türkischen Nation einerseits und Verweise auf die „inneren“ und „äußeren“ Feinde und ihre Verschwörungen gegen das Türkentum andererseits. In konkreten Äußerungen sind beide Aspekte nicht immer voneinander zu trennen. So etwa, wenn mit „Sakarya1921“ auf den Sieg der türkischen Truppen über die griechische Armee 1921 in Mittelanatolien Bezug genommen wird, wird sowohl eine eigene „heroische“ Tat gefeiert und gleichzeitig auf einen Angriff auf die türkische Nation verwiesen. Anders ist es etwa bei „1453“. Hier wird auf die Eroberung von Konstantinopel durch das Osmanische Reich als eine heroische Tat angespielt, die Feinde bleiben jedoch unerwähnt. Solche Diskursfragmente zu kennen macht es möglich, auch dort Bezüge zum türkischen Nationalismus zu erkennen, wo nur wenige Informationen bereitgestellt werden, etwa in Accountnamen oder Profilbildern für die Sozialen Medien.

Knoten im Netz

Die Verbreitung des türkischen Ultranationalismus im Netz geschieht nicht nur auf Onlinepräsenzen der Ultranationalist/innen selbst. Durch die Verschärfung der innenpolitischen Lage in der Türkei und die Zunahme von nationalistischen Mobilisierungen durch die Koalition Regierungspartei AKP mit der MHP finden sich ultranationalistische Inhalte auch zunehmend auf Facebook-Seiten der Anhänger/innen des türkischen Staatspräsidenten Erdoğan angesehen werden. Solche Netzauftritte bilden gewissermaßen Brücken zwischen türkischen Ultranationalist/innen und der konservativ eingestellten türkischstämmigen Menschen in Deutschland. Der türkische Ultranationalismus selbst teilt sich in Deutschland in zwei Bereiche: neben den traditionellen politischen Organisierungen der „Grauen Wölfe“, wie etwa der Verband „Türk Federasyon“, existieren neue und unabhängige Gruppierungen wie etwa die (inzwischen verbotene) „Osmanen Germania“ und „Turan“.
Insgesamt spielt Facebook eine deutlich wichtigere Rolle als andere Soziale Netzwerke wie etwa Twitter oder Instagram. YouTube hat eine Sonderrolle, weil hier türkisch-nationalistische Musik besser weiterbreitet werden kann. So nutzt etwa das Label „Ayyildiz Records“ („Halbmond und Stern Records“, eine Anspielung auf die türkische Fahne) YouTube, um eine große Zahl von türkisch-nationalistischen Rap-Videos unterschiedlicher Qualität bereitzustellen. Twitter wiederum spielt eine Scharnierfunktion zwischen den Öffentlichkeiten in der Türkei und in Deutschland, weil Twitter in der Türkei ein Massennetzwerk ist. Inhalte, die in der Türkei entstehen, können über Twitter nach Deutschland transferiert und dann auf Facebook reproduziert werden.


Herausforderungen für die Präventionsarbeit

Die Netzpräsenz der türkischen Ultranationalist/innen dient in erster Linie dazu, die Ideologie zu verbreiten und Sympathisant/innen zu gewinnen. Dazu wird auf aktuelle Ereignisse und Debatten bezuggenommen, um diese aus der türkisch-nationalistischen Weltanschauung heraus zu kommentieren und diese Lesart der Geschehnisse durchzusetzen. Die Netzauftritte dienen hingegen weniger dazu, Akteur/innen zu vernetzen oder zu organisieren. Das Kernproblem für die Präventionsarbeit ist , dass die so verbreiteten Inhalte von den Rezipient/innen nicht als extrem und randständig, sondern vielmehr anschlussfähig sind, und in Teilen der türkischen Community als selbstverständlich und richtig angesehen werden. So ist etwa die Aufwertung des Türkischen und die Abwertung alles Nicht-Türkischen eine gängige Denkfigur, auf den die türkischen Ultranationalist/innen anknüpfen können. Dadurch würde auch eine Präventionsarbeit, die von „außen“ kommt, als ein weiterer Angriff auf das Türkische gedeutet werden. Es bräuchte also für Strategien der netzbasierten Gegenrede (counter speech) Akteur/innen, die von den türkischstämmigen Menschen in Deutschland akzeptiert werden können. Darüber hinaus müsste im Rahmen der Präventionsarbeit die Medienkompetenz der jeweiligen Zielgruppen gestärkt werden, um sowohl Symbole und Codes erkennen zu können als auch tatsächliche Informationsquellen von ideologisch motivierten Netzauftritten unterscheiden zu können


Zum Autor:

Ismail Küpeli ist Politikwissenschaftler an der Universität zu Köln und forscht zu Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus. Weitere Schwerpunkte seiner Arbeit sind nationalistische Ideologien und identitäre Tendenzen – sowohl in den Mehrheitsgesellschaften als auch innerhalb der jeweiligen Minderheiten.

Weiterführende Literatur:

  • Amadeu Antonio Stiftung (2019): Online-Lebenswelten als Orte der Radikalisierung Hate Speech in islamistisch, türkisch- und russisch-nationalistisch geprägten Online-Szenen. https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/publikationen/online-lebenswelten/
  • Arslan, Emre (2009): Der Mythos der Nation im Transnationalen Raum: Türkische Graue Wölfe in Deutschland. Wiesbaden: Springer VS.
  • Aslan, Fikret / Bozay, Kemal (Hrsg.) (2012): Graue Wölfe heulen wieder: Türkische Faschisten und ihre Vernetzung in Deutschland. 3. überarbeitete Auflage. Münster: Unrast Verlag.
  • Bozay, Kemal / Borstel, Dierk (Hrsg.) (2017): Ungleichwertigkeitsideologien in der Einwanderungsgesellschaft. Wiesbaden: Springer VS.
  • Taş, Savaş (2012): Der ethnische Dominanzanspruch des türkischen Nationalismus. Eine diskursanalytische Studie zur Ideologie des türkischen Staates und der MHP. Münster: Verlag Westfälisches Dampfboot.

1 Unter „Mehrheitsgesellschaft“ werden politische und soziale Strukturen und Institutionen zusammengefasst, die weiterhin von einer herkunftsdeutschen Identität geprägt sind und entsprechend Repräsentanz und Partizipation aller Bevölkerungsgruppen nicht gewährleistet ist.